unscharf und schludrig

  • Angetrieben durch Aussagen von "lohi" (siehe Zitat unten) in einem anderen Forumsbeitrag https://grossformatfotografie.de/thread/16990-hybrid-arbeiten/ stelle ich ein unscharfes und schludrig erarbeitetes Portrait hier, nicht in der Galerie, als Beispiel ein. Zum verlinkten Beitrag passt es auch nicht.

    Zur Schärfe: das Ziel vieler GF-Fotografen, insbesondere in diesem Forum, ist eine umfassende Schärfe. Das schließt fette Stative, hochauflösende Objektive, teure Lupen, entsprechende Filme und Entwickler und sogar Blitzlichtanlagen zum Zeit- und blendenoptimierten Ausleuchten ein. Nur wenige nehmen sich z.B. eine FKD mit Industar und arbeiten mit Offenblende vom klapprigen Holzstativ herab. Ich glaube nicht, dass die Workshops von Linhof in Richtung Unschärfe und selbstreflexive Medienthematisierung gehen oder je gingen. Ich weiß auch nicht, ob gewerbliche Fotografie mit sowas durchkäme.

    Ich für mich mag sowas ja, als künsterische Fotografie, und damit meine ich nicht den Piktorialimus, sondern z.B. die amerikanische Westküstenfotografie der die deutsche Sachlichkeit, ebenso die französische Linie. Aber von Haus aus bin ich da auch recht kritisch. Wenn ein Bildfehler einfach keinen Sinn macht im Ganzen, also wirklich ein Defizit im Konzept ist, bin ich ganz Platonist und setze die Idee gegen den realisierten Endzustand, was natürlich brutal ist. Aber das machen viele so: wenn eine Störung der Bildübertragung ungewollt erscheint, werten sie das Bild gegenüber dem vermeintlichen Bildgedanken ab. Ihr könnt noch so aufregende Architektur fotografieren: wenn es ein Staubkorn oder einen Strömungsstreifen m Negativrand gibt, werden die Leute das bemäkeln.


    Das Portrait ist nirgends richtig scharf. Ich vermute die eigentliche Schärfeebene liegt vor dem Gesicht. Die Schulter erscheint mir schärfer abgebildet. Vielleicht habe ich die Schärfe nicht richtig eingestellt, oder mein Modell hat sich ein klein wenig nach hinten bewegt. Sicher zeichnet das Objektiv nicht scharf. Es ist ein unbenanntes Messingobjektiv, wahrscheinlich vom Petzval- Typ und von einer Laterna Magica, also ein Projektionsobjektiv, aus dem 19. Jahrhundert. Das Objektiv habe ich an die Sinar P adaptiert.
    Die Ränder sind fleckig. Das passiert mir immer mal wieder. Ich entwickle in der Jobodose 2520 mit dem Planfilmhalter- Einsatz mit der Kippmethode.

    Warum tue ich Euch das an?

    Es ist ein selbstmörderischer Versuch gegen Dogmen, wie eine Fotografie auszusehen hat, anzugehen.
    Es ist auch ein kleiner, subversiver Beitrag gegen den Kunstadel und die Siegerkünstler. Siehe den Link aus dem Zitat unten.
    https://www.perlentaucher.de/fotolot/ueber-…tml?nle_id=8864

    der truschner hat nachgeladen, neues aus der deutschen kunstadelsgesellschaft:

    perlentaucher.de/fotolot/ueber…institut.html?nle_id=8864

    werterhaltung des eigenen oeuvre und des besitzes der versammelten sammlerelite mit dutzenden steuermillionen: struffsky haben sich offenbar sehr clever angestellt. der rest des kulturproletariats mag sehen wo er bleibt.

    interessant auch die verlinkungen im text zu zwei SZ-Artikeln in dieser sache.


    Freundliche Grüsse, stephan

  • hey, ich habe nicht dich angegriffen, sondern eine subjektive beobachtung formuliert, die ich hier des öfteren gemacht habe.

    das heisst nicht, dass ich unscharfe oder schludrige bilder von sich aus schlecht finde.

    schon bei demmler, kleine schule im fotografieren, 50er jahre steht das so: ein bild kann noch so gut sein - wenn irgendwo ein staubkorn drauf ist, ein muschelbruch, eine unschärfe: dann werden die leute nur das finden.

    eigentlich rede ich von guten bildern ...

    was ich über bildfehler schrieb: wenn die bewegungsschärfe nicht ausreicht, das aber in das künstlerische konzept einbezogen wurde, vorab, dann ist das ok. wenn aber bewegungsschärfe angestrebt, aber nicht erreicht wurde, dann überzeugt das bild vielleicht eher nicht. kommt drauf an. wird aber problematisch. schwierig, dann noch zufrieden zu sein.

    du kennst doch das klee in bern. die metallenen wellen haben so eine schöne dynamik. die wollte ich in tiefstehemdem morgenlicht aufnehmen, mit gespreizten kontrasten. das blech reflektierte aber die sonne, es kam zu aufhellungen am boden, die fast wie schleier im bild aussehen. der schöne kontrast, die ganze dynamik: dahin.

    was die kunst angeht: das ist nicht nur ein hehres ideal für die einen, sondern auch ein profaner markt mit angebot und nachfrage für die anderen, und für nochmal andere vieles mehr.

  • Ich habe mich nicht angegriffen gefühlt.

    Im Forumsbeitrag "Hybrid arbeiten" haben wir interessante Aspekte diskutiert, die dort aber nicht hingehören. So habe ich hier einen neuen Beitrag eröffnet, wo wir gerne die Thematik weiterführen und auch weiter ausführen können. Leider kann ich nicht so gut schreiben wie Du oder auch einige andere Forumsmitglieder. Auch brauche ich dafür enorm viel Zeit. Aber es sind Gedanken, die mich immer wieder und das schon lange umtreiben.

    Das sollte ich jetzt weiter ausführen, aber ich muss arbeiten.

  • Nam June Paik hat gesagt "When too perfect lieber Gott böse."
    Dein Bild berührt mich nicht durch Technik, sondern durch den auf mich gerichteten Blick.
    Eine Wirkung, die vermutlich durch zu viel Fachwissen getrübt wird. Andreas hat im Aphog mal das Bild eines Bugatti 35 gezeigt. Die ersten Kommentare betrafen die Ausrichtung der Kamera und das Spiegelbild des Fotografen.

  • Ich kopiere hier meinen Beitrag aus einem anderen Thema herüber - da wurde das Handwerkliche als ein wichtiger Teil des fotografischen Schaffens angesprochen -> Zitate


    << ... dann wohl leider doch. und der obendrein die hauptsächliche technisch-kreative arbeit, nämlich die im labor, anderen überließ. >>


    << Davon, daß manche Fotografen die Ausarbeitung ihrer Bildvorstellung anderen überließen, lebte so mancher Laborspezialist. >>

    Ich habe mal eine Reportage über Newton gesehen, in der der Laborspezialist ihm Vergrößerungen vorlegt und Newton dann Änderungswünsche anbrachte: da etwas heller, da etwas mehr so ... Er hatte also eine genaue Vorstellung davon, wie das fertige Foto aussehen sollte.

    Es könnte vielleicht hier interessant sein, den Stellenwert des Handwerklichen mal zu beleuchten.

  • Ich habe mal eine Reportage über Newton gesehen, in der der Laborspezialist ihm Vergrößerungen vorlegt und Newton dann Änderungswünsche anbrachte: da etwas heller, da etwas mehr so ... Er hatte also eine genaue Vorstellung davon, wie das fertige Foto aussehen sollte.

    Es könnte vielleicht hier interessant sein, den Stellenwert des Handwerklichen mal zu beleuchten.

    Aus meiner persönlichen Sicht sind genau diese Aspekte der analogen (GF-)Fotografie für mich die spannenden. Unter dem Vergrößerer das BIld auf den Punkt bringen, ist 1. eine sehr befriedigende Tätigkeit, braucht aber Zeit. Und 2. ist der "Das habe ich gemacht"-Effekt für mich noch größer.

  • nicht alles, was im kreativen prozess nicht-intentional entsteht, muss verworfen werden: der zufall (oder eben auch serendipität) als mittel (oder sogar als konzept) ist in der kunst ja durchaus anerkannt.

    aber lohi hat schon recht: ein fussel oder kratzer auf einer ansonsten qualitätvoll ausgearbeiteten fotografie lenken tatsächlich ab. die fotografie hat nun mal im laufe ihrer rezeptionsgeschichte bei den betrachtern eine bestimmte erwartungshaltung und ein bestimmtes bild von sich selbst erzeugt. was aber kein nachteil sein muss. denn gerade dieser umstand dürfte auch mit "schuld" sein am großen erfolg der fotografie als bildnerisches mittel. und in den wenigsten fällen lässt sich ein fussel oder kratzer auf einer fotografie als konzeptuell intendiert erklären. meistens ist es eben doch unachtsamkeit, mangelnde fachliche kompetenz, ahnungslosigkeit, anspruchslosigkeit oder schlichtweg faulheit. auf die spitze getrieben: der fussel blockiert die erkenntnis! :D

    aber zurück zu deinem bild:

    leider kann man in einem forum keinen blick auf den originalen print werfen. so bleibt einem visuell doch eine menge verwehrt. vielleicht stören die flecken rechts ja auch nur, weil sie eben nur rechts sind? das mit der schärfe ist wohl leider tatsächlich ein problem und lässt sich auch mit noch so arg bemühtem konzeptuellem fabulieren nicht aus der welt reden. aber was solls. hast du mal über eine unscharfmaskierung nachgedacht? vielleicht musst du dem bild in der duka nur noch etwas mehr zeit bei der nachbelichtung gönnen. es in eine große dunkelheit hüllen, sein geheimnis vertiefen. so das sich der fokus des betrachters weg von einer technischen, hin zu einem motivischen schärfe entwickelt. obendrein nur minimal vergrößert. gerahmt, mit einem dicken passepartoutrand.

    denn atmossphäre im sinne böhmes hat dieses bild durch die mimik und gestik durchaus.

    dislikes? wenn es dir in deiner kleinen welt weiterhilft...
    likes? lieber nicht. unnötig.

  • Nun das mit der Schärfe ist so eine Sache, in einem meiner ganz alten Fotosachbücher beschreibt der Autor, dass in frühen Jahren, wenn sich der Fotograf kein Weichzeichner Objektiv leisten konnte, er ganz einfach bewusst die Schärfe vor das Gesicht gelegt hat und so eine Unschärfe und Weichheit erreicht hat und damit weniger retuschieren musste!
    LG Armin

    " You push the button and we do the rest."
    Kodak Werbespruch!
    Today
    "You push the button and the pixels do the rest"

  • Beim ersten Sichten des Negatives hatte ich das Bild verworfen und mich geärgert. Wegen den Flecken. Wie gut die Schärfe ist, konnte ich nicht genau beurteilen. Dass es nicht gestochen scharf sein wird, habe ich erwartet. Nun wollte ich aber doch einmal sehen, wie das Objektiv denn nun zeichnet und habe das Negativ eingescannt und kleine Anpassungen in Photoshop und SilverEfex gemacht. Nun bin ich doch angenehm überrascht. Irgendwie gefällt mir, dass es eben nicht gestochen scharf ist. (siehe Beitrag oben von "johnars")
    Was aber letztlich die handwerkliche Qualität des Fotos angeht, bin ich nicht zufrieden. Dass die Schärfe nicht auf den Augen liegt und diese lästigen Flecken, waren ja keine Absicht. Jedenfalls möchte ich das Portrait, wenn ich das im Auftrag gemacht hätte, der Kundin nicht vorlegen wollen. Auch bei meiner Erwerbsarbeit gebe ich mich mit schludriger Arbeit nicht zufrieden. Da muss ich zuweilen sehr akribisch vorgehen. Vielleicht bin ich auch deshalb bei meinen Fotos ein bisschen nachsichtiger mit mir geworden. Ich musste mal realisieren und akzeptieren, dass ich meinen perfektionistischen Ansprüchen nicht gerecht zu werden vermag und den "grossen Vorbildern" das Wasser nicht reichen kann. Glücklicherweise hat mir das die Freude am Fotografieren nicht genommen. Und - ich lege nicht jedes meiner Elaborate der Öffentlichkeit vor. Das Portrait oben habe ich lediglich als Aufhänger für diesen Beitrag benutzt.

    In der Grossformatfotografie wird oft von grösstmöglicher oder umfassender Schärfe gesprochen. Oder überhaupt vom Anstreben des perfekten Bildes mit all seinen Kriterien, die wir wohl alle kennen und von ein paar Meistern vorgegeben ist. Es lohnt sich diese zu kennen, zu akzeptieren und das perfekte Bild anzustreben. Aber ich mag das nicht mehr so sehr dogmatisch sehen.

    Übrigens scheinen bei der momentan boomenden Wetplate- Fotografie Flecken, Schlieren und unsaubere Ränder dazu zu gehören. Das stört manchmal nicht, oftmals aber doch. Nebst dem, dass für Portraits häufig zu kurze Brennweiten verwendet werden. Somit wären wir wieder beim Handwerklichen.

    Freundliche Grüsse, stephan

  • Übrigens scheinen bei der momentan boomenden Wetplate- Fotografie Flecken, Schlieren und unsaubere Ränder dazu zu gehören.

    Wenn man das als Ergebnis auf Film hätte, würde man das Negativ wegwerfen.


    vom Anstreben des perfekten Bildes mit all seinen Kriterien, die wir wohl alle kennen und von ein paar Meistern vorgegeben ist.

    Die müssen dich nicht stören - und das mit den großen Meistern sieht auch nicht jeder so.

    Handwerkliche Perfektion ist eindrucksvoll, aber sie macht nicht das gute Bild. Aber einem guten Bild steht es gut, wenn es sauber ausgeführt ist, dazu gehört auch ausflecken.

  • Mich dünkt, die Person gleiche ein klein wenig Wladimir Putin. Ansonsten: warum nicht mit einem blendelosen Petzval-Objektiv aufnehmen? Das Licht ist nicht schlecht, vielleicht etwas zu hart. Im 19. Jahrhundert hätte man eine ganz leichte Untersicht gemacht und bestimmt nicht eine Frau so leicht bekleidet fotografiert. Das ist, was mir als Kunsthistoriker so durch den Kopf geht.

  • Seit dem hat sich eine Menge getan in der Auffassung von Porträts und auch von Objektivtechnik.

    Und wiederum kurz und prägnant.

    Wenn man das als Ergebnis auf Film hätte, würde man das Negativ wegwerfen.

    Die müssen dich nicht stören - und das mit den großen Meistern sieht auch nicht jeder so.
    Handwerkliche Perfektion ist eindrucksvoll, aber sie macht nicht das gute Bild. Aber einem guten Bild steht es gut, wenn es sauber ausgeführt ist, dazu gehört auch ausflecken.

    Da halte ich mich jetzt an Deine Aussagen.

    Ja - es reizt mich, mich mit dem Portrait dergestalt zu beschäftigen.
    Dahingehend sind auch meine Überlegungen gegen Dogmen, wie eine Fotografie auszusehen hat, anzugehen.
    Die lange Tradition des fotografischen Portraits finde ich spannend und faszinierend. Es interessiert mich, wie ich an das Portrait von vor hundert und mehr Jahren anknüpfen kann, ohne die Art wie damals Portraits fotografiert wurden zu kopieren.

  • die abgebildete schönheit hat einen geschlossenen mund und eine geschlossene körpersilhouette, die aber in sich gedreht ist, was energie in die sehr offenen augen leitet, die einen direkt anschauen. sie artikuliert sich dem betrachter.

    dass man in ihrem linken auge mehr weiss zur nase hin sieht, biegt die pupille nach aussen, und dadurch kann sie dem betrachter im raum folgen. so funktionieren portraits.

    würdest du es nochmal aufnehmen?

  • würdest du es nochmal aufnehmen?

    Ja, würde ich!

    Mit Katenka habe ich jetzt schon vier mal gearbeitet. Jedesmal war mindestens ein Set mit Portraits mit der Grossfomatkamera im Programm. Ich hoffe, ich werde noch einmal mit ihr arbeiten können.


    Mich dünkt, die Person gleiche ein klein wenig Wladimir Putin.


    Übrigens ist sie nicht mit W. Putin verwandt. Sie würden sich aber sprachlich verstehen.

  • Eine weitere Frage, die mich umtreibt:
    Das "rohe", das "ehrliche" Bild. Ehrlich lasse ich vielleicht besser weg. Aber das "rohe" Bild interessiert mich. Dabei möchte ich mich aber nur auf die analoge Aufnahmetechnik beschränken.

    Wie wirkt eine Fotografie, wenn man nur die technisch vorgegebenen Parameter berücksichtigt, die für die Entstehung einer Fotografie nötig sind? Dies vorerst mal unabhängig von der Wahl des Materials. Einfach mit dem, was nötig und vorhanden ist. Also ohne weitere Ausarbeitungen in Folgeprozessen. Ist das überhaupt möglich, respektive darf man das so stehen lassen? Oder ist es schlicht und einfach nur angefangene und nicht zu Ende geführte Arbeit?

  • vielleicht zeigt das rohe bild am besten, was einer so drauf hat.

    unser zeichenlehrer legte sehr viel wert darauf, das wir bleistiftzeichnungen in echten schraffen ausführten und nicht mit den finger verschmierten, um schatten zu erzeugen.

    mit fotgrafie ist es m.e. ähnlich. daher bevorzuge ich auch geringmanipulierte vintage prints und erstabzüge.

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