Ist Photographie Handwerk oder Kunst?

  • Nunja, nicht unbedingt immer...

    Da hast du schon recht. Das Brechen von (technischen) Regeln und das Experimentieren sind für eine künstlerische Betätigung schon wieder fast eine Regel :-). Insbesondere bei einer sehr an der Moderne orientierten Bildsprache. Ein anderer Trend ist zur Zeit gegenläufig, das bewusste Suchen nach klassischen, fast altmeisterlichen Bildkompositionen. Diese Vielfalt der Ideen und Möglichkeiten finde ich persönlich ja so spannend.

    ja mei, was soll man dazu sagen........

  • -> renros: es geht nicht um Licht unter dem Scheffel, sondern um die Tatsache, daß mir da das Handwerkszeug fehlt, das ich als Basis für künstlerisches Schaffen ansehe. "Ich wollte Regeln brechen" kann ja keine Ausrede dafür sein, daß ich sie im Bedarfsfall gar nicht einzuhalten in der Lage bin.

    LG Ralph

  • es geht nicht um Licht unter dem Scheffel, sondern um die Tatsache, daß mir da das Handwerkszeug fehlt, das ich als Basis für künstlerisches Schaffen ansehe. "Ich wollte Regeln brechen" kann ja keine Ausrede dafür sein, daß ich sie im Bedarfsfall gar nicht einzuhalten in der Lage bin.


    ich weiß. aber stell dir mal vor, mit derselben begründung hättest du es vermieden, je eine kamera in die hand zu nehmen! handwerkszeug kann man sich "drauf schaffen", die wenigsten von uns hier im forum werden wohl ab dem ersten druck auf den auslöser gleich ausnahmslos fotografische schätze produziert haben.

    und mit "regeln brechen" bestreiten/bestritten bestimmt einige der namhaftesten künstler fast ausschließlich ihren lebensunterhalt (und sehr viel mehr! :) ). muss man sie denn unbedingt einhalten können, um sie zu brechen? hätten die dadaisten erst nachweisen müssen, dass sie so zu zeichnen, zu tanzen, zu malen oder zu musizieren vermögen wie die künstler vor ihnen, bevor man ihnen das recht hätte zugestehen können, sich über deren tradition hinwegsetzen zu dürfen?

    aber dieser einwand von dir ist durchaus tricky und berechtigt. vielleicht ist die frage ja ob man BEWUSST die regeln bricht. denn das würde ja bedeuteten, dass man sie immerhin kennt. und nicht einfach nur ahnungslos drauflos gearbeitet hat.

    dislikes? wenn es dir in deiner kleinen welt weiterhilft...
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  • Sagen wir so: Ich habe auch eine musikalische Ausbildung, von Klavier bis Komposition. Ich weiß recht gut, wie "Regeln" in einem künstlerischen Handwerk aussehen, ich weiß auch, was man alles erlernen und erüben kann. Jeder Komponist der Vergangenheit, auch jeder Maler, wußte aufgrund seiner Ausbildung, "wie es geht". Und manche haben die Regeln weiter entwickelt, was die dann taten war eben der Lehrinhalt der nächsten Schülergeneration. Das kann, muß aber nicht, ein bewußter Prozess sein, bei manchen Menschen genügt vielleicht die (geschulte) Intuition.
    Auch Improvisation an einem Instrument besteht nicht daraus, daß ich zu Tönen bringe, was mir aus unergründlichen Tiefen meiner Seele einfließt, das vielleicht auch, aber das Fundament ist Beherrschung des Instruments und ein umfassender Erfahrungsschatz mit seinen Ausdrucksmöglichkeiten, weil ich sonst ja gar nicht die Zeit habe in der Situation, daß ich mir überlege, wie ich das dann mit den Fingern umsetze. Dann kann ich spontan sein, auf meine Mitspieler reagieren, Einflüsse der aktuellen Umgebung aufgreifen etc.

    Das sollte jetzt so eine Art Kontrapunkt sein zur "Jeder ist ein Künstler"-Attitüde, die in Diskussionen dieser Art auch immer gleich nebenan liegt.

    LG Ralph

  • Ein Blick zurück in die Achziger:

    Da hatte eine Galerie ein modernes Gemälde ausgestellt. Das übliche, ein paar "gekonnte" Striche in mehrern Farben.
    Die "Kunstwelt war begeistert, das Bild wurde hochgelobt in allen Kunstkreisen.

    Dann kam heras, wer der Maler/die Malerin dieses hochgelobten Kunstwerkes war. Es war Sarah, eine Chimpansendame aus dem Zoo.

    Man mag nun sagen, diese Geschichte sei ein Fake. Ist es aber nicht, denn ich war mit meiner damaligen Biologieredaktion daran beteiligt. Es ging um ein Biologiebuch "das Verhalten" vom Cornelsen-Velhagen-Clasing Verlages, einem Schulbuchverleg, dessen leitender Medienredakteur ich damals war.

    Was ist nun Kunst????

    Gruß
    Winfried

  • Nun, vielleicht beschäftigt die Kunst die Menschen, weil es viele unbeantwortete Fragen gibt. Gibt es ein Leben nach dem Tod, oder vielleicht sogar davor? Gibt es Gott, welchen oder welche auch immer? Was ist das Leben überhaupt und wie entsteht es?
    Es bleibt spannend und manchmal ist das Machen eine ganz brauchbare Antwort, vor allem wenn es Freude macht.

    Freundliche Grüsse, stephan

  • Lieber Winfried, das mag ich so nicht unkommentiert stehen lassen. Man darf verschiedene Dinge nicht durcheinander bringen. Bei Verhaltensstudien mit Tieren geht es um Fragestellungen der Forschung, teils Grundlagenforschung, um nur zum Beispiel Wissen darüber zu erlangen, woher die diese oder jene Verhaltensweise des Menschen herrührt, ob sie evolutionär verankert ist oder eine originäre vom Menschen erworbene Fähigkeit darstellt. Ich hoffe, dass das von Dir zitierte Experiment so angelegt war.

    Ein anderes Problem stellt die "Bewertung" von künstlerischen Erzeugnissen dar. Auch hier gibt es Fachleute, die das ähnlich einem Schiedsrichter beim Fussball können, weil sie es gelernt haben, sich aber auch Irrtümer zurechnen lassen müssen. Denke mal an Justizirrtum oder den berühmten Ärztefehler, wo Laien auch immer vorschnell Urteile fällen.

    Das Dritte gehört in den Bereich Kabarett, wo mit Klamauk versucht wird, Dinge durch den Kakao zu ziehen. Das hat Unterhaltungswert, basierend auf Schadenfreude. Auch das hat seine Berechtigung und wir lachen gerne darüber, aber es sollte denjenigen nicht aufhalten,der weiterhin ernsthaft und mit Freude einer künstlerischen Tätigkeit nachzugehen.

    Wie ordnest Du nun das von Dir erwähnte (und seit Urzeiten immer wiederholte) Geschichtchen ein? Du warst ja dabei .....

    HG
    Wolf

    ja mei, was soll man dazu sagen........

  • Da hatte eine Galerie ein modernes Gemälde ausgestellt. Das übliche, ein paar "gekonnte" Striche in mehrern Farben.
    Die "Kunstwelt war begeistert, das Bild wurde hochgelobt in allen Kunstkreisen.


    wenn sich das so zugetragen haben sollte, dann sagt das meiner meinung nach rein gar nichts über die "kunst" aus, dafür aber eine ganze menge über eine spezielle gruppe (bösartigerweise gern auch "kaste" genannt) von leuten, die sich - auf ihre spezielle art und weise - mit kunst und kunstwerken beschäftigen.

    und bestätigt auf lustige weise, was ich vor einigen tagen schon einmal in diesem thread geschrieben hatte:

    wenn man das konsequent zu ende denkt, landet man bei:

    Natur=Kunst

    alles andere ist menschlich.


    wobei ich mich mit dieser aussage ja eigentlich NICHT recht haben wollte... :D

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  • Es steht jedem frei, seine Fotografie als Kunst zu bezeichnen, das ist kein geschützter Begriff. In den vielzitierten Märkten ist es von entscheidender Bedeutung, ob ein Werk als Kunst aufgefaßt wird oder als Handwerk. Häufig wird das Tun eines anerkannten Künstlers auch dann als Kunst aufgefaßt, wenn er fotografisch tätig wird (denn er tut dies als Künstler). Wenn der Fotograf mit dem Porträtstudio ein ähnliches Foto macht, gilt das eher als Handwerk. Man kann dann auch auf die Unterscheidung "Kunst mit Fotografie" vs. "Fotografie" treffen. Wenn jemand von den hier Beteiligten seine Fotografie als Kunst auffassen möchte, ist das kein Problem, solange er sein Werk nicht als Kunst verkaufen möchte.
    Der handwerkliche Aspekt von Kunst ist spätestens dann etwas in den Hintergrund getreten, als jemand ein Pinkelbecken ins Museum getragen hat und es dort ausgestellt wurde.
    Entscheidend ist doch, solange man nicht verkaufen will, ob man meint, sein Tun dadurch aufzuwerten, wenn man es Kunst nennt. So weit mir bekannt ist, ist die Aura, die mit dem Künstler und seinem Werk verbunden ist, eine eher auf den deutschsprachigen Raum begrenzte Erscheinung. Vielleicht wird hier eine gute Handwerksleistung einfach nicht hoch genug eingeschätzt.

  • Wie ordnest Du nun das von Dir erwähnte (und seit Urzeiten immer wiederholte) Geschichtchen ein?

    .. kunst kann natürlich auch "klamauk" sein.
    kunst hat nicht ausschließlich mit "erhabenheit" zu tun -
    es geht in der kunst wohl eher um die schöpfung etwas grundsätzlich neuem oder die weiterentwicklung von vorhandenem,
    nicht aber um die fortführung, kopie oder automatisierung denke ich mir.

    kunst mit kundigem publikum :)

    "phantasie ist etwas, was sich manche leute nicht vorstellen können!"

  • Perfektes Beispiel! Gleiche Kategorie wie der Affe. Was haben wir damals über Kerkeling gelacht. Aber es wäre zum damaligen Zeitpunkt keinem Menschen eingefallen, diesen Clip als Kunst zu bezeichnen, es war Clownerie. Wenn Du das aus heutiger Sicht tust, nämlich den Kunstbegriff für diesen Jux anwendest, dann belegt das im Grunde wie Kunst auch entstehen kann. Nämlich nicht durch die Schöpfung des Werkes allein, sondern auch durch die Veränderung der Wahrnehmung im Nachhinein.... wie ich in meinem Kommentar gestern schon schrieb.

    ......irgendwie driften wir von der Fotografie ab..... aber sehr erfrischend....

    HG
    Wolf

    ja mei, was soll man dazu sagen........

  • Ein Bekennerschreiben:

    Ich gebe zu, mit meinen Bildern habe ich den Anspruch Kunst zu machen.
    Den Beruf des Fotografen habe ich nicht erlernt. Geld verdienen muss ich damit auch nicht. Wollen täte ich schon, aber es will niemand die Bilder kaufen. Ein Hobby alleine ist es auch nicht. Dazu treibe ich mit der Fotografie gedanklich, zeitlich und finanziell einen zu grossen Aufwand. Ich möchte sagen, mein Umgang mit der Fotografie hat einen sehr leidenschaftlichen Charakter, zeitweise sogar einen obsessiven. Wenn ich nicht die Möglichkeit hätte, die Bilder zu machen, die ich mache, würde ich überhaupt nicht fotografieren. Ich sehe mich als einen Bildhauer, diesen Beruf habe ich erlernt, der sich des Mediums Fotografie bedient.

    Freundliche Grüsse, stephan

  • Auf die Eingangsfrage antwortend, muß ich sortieren: Materielle Fotografie gibt es nicht ohne Arbeit, Handwerk. Bei der digitalen Fotografie ist die körperliche Anstrengung aufs Auslösen und das Manipulieren der Computer-Technik verringert. Speichermedium umstecken und dergleichen

    Kunst liegt ganz bestimmt nicht allein beim Betrachter oder Zuhörer, das wäre absolutistisch. Kunst beruht gerade auf dem allgemein Menschlichen, auf Erlebtem und Erlebbarem. Kunst ist immer persönlich, weil es die persona ist, die Schwingende, von der alles ausgeht. So viel ist uns von der Antike überliefert.

    Körperliche Anstrengung muß als Erstes spürbar sein, sonst würde nicht ein Mal ein Gekritzel von einem Affen angeschaut werden. Freude am Material und damit die Auseinandersetzung mit ihm gehört dazu, sonst ist alles kalt wie bei der heutigen zusammengeklickten Architektur.

    Kunst ist nicht möglich, so lange jemand das Handwerk nicht einigermaßen beherrscht. Der Fotograf muß wenigstens brauchbar belichten und scharf stellen können. Er bemißt das fertige Bild nach dem Gegenstand, eine Landschaft im Hochformat von 10 auf 7 cm wirkt ebenso zufällig wie das Portrait eines Stehenden im Querformat von 3 auf 5 Metern. Was in der Musik oder beim Theater so richtig zelebriert wird, das Geschehen über Zeit, spitzt sich bei der Fotografie zu. Die Belichtungszeit kann sehr lang sein, ist meistens jedoch sehr kurz. Wir sprechen kaum mehr von Momentfotografie, denn ein Moment ist ein Verweilen. Das Allermeiste an Fotografie ist geschossen, mit der Licht-Guillotine abgehackt. Es muß sich alles durch einen Sekundenbruchteil hindurchzwängen. Der Maler läßt Farbe von den Pinselhaaren fließen, er sieht zu, wie Töne sich mischen. Er malt über Stunden und Tage.

    Kunst, von griechisch kaustos, Brandstelle, Herd, Ofen, ist das Erbaute, ganz einfach. Was gibt es Erwärmenderes als einen Herd? Kunst erbaut.

  • "Es gibt ein Kunstgesetz, das ewig gilt: wir wollen nicht gelangweilt werden."
    (Kurt Tucholsky 1890-1935)

    Stimme ich sofort zu. Kunst hält beim Betrachter die Zeit für einen Moment an. Sie zieht ihn in die Gegenwart und flirtet mit dem Augenblick :)

    Körperliche Anstrengung muß als Erstes spürbar sein, sonst würde nicht ein Mal ein Gekritzel von einem Affen angeschaut werden.

    Hier würde ich ein wenig widersprechen: Ein Künstler könnte, z.B. mit wenigen Pinselstrichen, in kürzester Zeit, ein Kunstwerk erschaffen. Allerdings kann er zur Erlangung dieser Fähigkeit Jahrzehnte gebraucht haben...

    ...Michelangelo wurde einst gefragt, wie er aus einem ordinären Steinblock eine kraftvolle und lebendige Statur eines Löwen schlagen kann. Daraufhin sagte er: “Ich muss das Bild des Löwen klar vor mir sehen. Dann ist es ganz einfach: Man haut alles vom Stein weg, was nicht zum Löwen gehört”.
    In der Fotografie seh' ich's ähnlich. Gute Bilder entstehen durch Subtraktion. Alles das, was nicht zum Bild gehört, wegzulassen, ist eben Kunst...

  • Hier würde ich ein wenig widersprechen: Ein Künstler könnte, z.B. mit wenigen Pinselstrichen, in kürzester Zeit, ein Kunstwerk erschaffen. Allerdings kann er zur Erlangung dieser Fähigkeit Jahrzehnte gebraucht haben...


    möglicherweise habt ihr ja beide recht: denn wenn man "körperliche anstrengung" zu "körperlicher bewegung" abstrahiert, dann passt es. wobei auch das - irgendwann mal - nicht mehr stimmen muss: wenn es software gibt die es einem ermöglichen wird, mit der puren kraft seiner gedanken (und über human interfaces) für andere sichtbare bilder erzeugen zu können. wobei man dann die frage stellen könnte, ob der gedanke (da er ja aus einem körperteil kommt, bio-chemisch mithin also auch physikalisch bedingt ist) nicht auch eine form der "körperlichen" betätigung ist. darüber hat sich schon descartes in seinen ontologischen dualismus die rübe zerbrochen.

    ...Michelangelo wurde einst gefragt, wie er aus einem ordinären Steinblock eine kraftvolle und lebendige Statur eines Löwen schlagen kann. Daraufhin sagte er: “Ich muss das Bild des Löwen klar vor mir sehen. Dann ist es ganz einfach: Man haut alles vom Stein weg, was nicht zum Löwen gehört”.


    wobei man sagen muss, dass meines wissens nach michelangelo hier theorisierte: er hat in seinem langen leben nicht einen einzigen löwen gehauen. jedenfalls nicht aus dem stein heraus. :D

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